Infektionskrankheiten und deren Beeinflussung durch Schutzimpfungen

Klaus Dietz , Martin Eichner , 1992
In H. Spiess und G. Maass (Herausgeber): Neue Schutzimpfungen - Impfempfehlungen, Aufklärung, Widerstände , München

Institut für Medizinische Biometrie der Universität Tübingen

Abstract

Das erfolgreichste Impfprogramm war die globale Ausrottung der Pocken im Jahre 1977. Ein Eradikationsprogramm ist deutlich von einem Eliminationsprogramm zu unterscheiden, wie etwa das der Masern in den U.S.A. Eine Eradikation beinhalted eine zeitlich beschränkte Aktion, die zur völligen Ausrottung des Erregers führt, so daß nach Beendigung des Programmes für immer auf eine Impfung verzichtet werden kann. Ein Eliminationsprogramm ist grundsätzlich zeitlich unbeschränkt angelegt, da es nicht nur die Übertragung der Infektion innerhalb der Bevölkerung verhindern möchte, sondern auch die weitere Ausbreitung von importierten Fällen. In den U.S.A. stützt sich dieses Programm auf eine fast vollständige Durchimpfung gegen Masern, bei der nur wenige Ausnahmen aus medizinischen bzw. religiösen Gründen zugelassen werden. Trotzdem wurden 1990 mehr als 26000 Fälle gemeldet, eine deutliche aber nicht unerwartete Erhöhung seit 1983. Aus theoretischen Überlegungen erhebt sich die Frage, ob eine Elimination bei freiwilligen Impfprogrammen überhaupt möglich ist, da im Falle von Impfkomplikationen bei hinreichender Durchimpfung der Bevölkerung der Nichtgeimpfte ein geringeres Erkrankungsrisiko als der Geimpfte hat. Bei vielen Infektionskrankheiten nimmt die Erkrankungswahrscheinlichkeit für einen Infizierten mit dem Alter zu. Dies hat zur Folge, daß bei vollständiger Durchimpfung der Kleinkinder das Erkrankungsrisiko für Nichtgeimpfte durch das Impfprogramm erhöht werden kann, da eine Erniedrigung des Infektionsrisikos eine Erhöhung des Infektionsalters bewirkt. Mit Hilfe von Modellrechnungen wird gezeigt, daß dieses Phänomen z. B. für die Rötelnembryopathie unter bestimmten Bedingungen zu erwarten ist. Impfprogramme würden an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie auf unrealistische Zielsetzung, wie Elimination oder gar globale Eradikation, verzichten und stattdessen ein realistisches Kontrollprogramm formulieren würden. Dazu bedarf es der routinemäßigen Erhebung und Auswertung von epidemiologisch relevanten Daten, die alle Aspekte eines Impfprogrammes erfassen: altersspezifische Infektions- und Erkrankungsinzidenzen, altersspezifische Impfraten, altersspezifische Seroprävalenzen und nicht zuletzt auch die Häufigkeit von Impfkomplikationen.


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